29 November 2009

Charles Stross: "Dämonentor" ("The Atrocity Archives")




In letzter Zeit wurde von vielen Science-Fiction- und Horror-Fans immer wieder der Name „Charles Stross“ beinahe schon andächtig durch diverse Mailinglisten geraunt. Angeblich soll der Brite Stross einer der besten SF/Horror-Autoren der Gegenwart sein. Als "H.P. Lovecraft der Gegenwart" bzw. als "Lovecraft's Erbe" wurde er gar bezeichnet. Grund genug für mich, sich mal einen seiner Schmöker reinzupfeifen. Und wie schmeckte mir Stross?

Very British.

Mein erster Eindruck nach dem Lesen dieses Buches war: hier zeigt sich wieder einmal, was für eine Sicht der Welt der durchschnittliche Brite zu haben scheint!

Im Grunde genommen ist das Buch sehr amüsant und spannend zu lesen, und jeder der Lovecraft oder Spionage-Horror-Stories mag, wird mit diesem Buch zufrieden sein.

Als Deutscher jedoch musste ich beim Lesen dieses kurzen Romans allzu oft heftig seufzen. Zwar hat Stross einen interessanten Schreibstil, und seine Beschreibungen aus dem Leben eines „Computer-Nerds als Spion“ sind stellenweise brilliant und äußerst komisch.

Doch all die Pluspunkte, welche Stross bei mir am Anfang der Erzählung sammelte (wenn er den Computer-Geek Bob Howard und seinen seltsamen Job bei einer okkulten Geheimdienst-Organisation in London vorstellt) büsst er wieder ein wenn er zum Kern der Geschichte vorrückt.

Für mich waren dann letztlich die „tieferen Einsichten in das Britische Weltbild’ interessanter und lehrreicher als die eigentliche Story.

Man frage sich selbst: „Welche Art von Erzählung wird dabei heraus kommen, wenn ein britischer Autor eine Geschichte schreibt, in der die Sphären einer geradezu kafkaesken Bürokratie sich mit Elementen des namenlosen Horrors eines Lovecraft und der Welt der IT/computer geeks sich vermischen? Ein Tipp: in Großbritannien vergeht kein Fernseh-Abend OHNE "Hitler-Doku". Das "Dritte Reich" wird hier ständig thematisiert, aufgewärmt, durchgekaut.

Und das Buch? Nun, die Story enthält die folgenden Elemente:

- weltweit operierende Geheimdienste
- „Krieg gegen den Terror“ / Terroristen arabischer Herkunft
- der Protagonist ist eine seltsame Mischung aus Computerfreak und James Bond
- es gibt eine Menge „James-Bondesquer“ technischer Gimmicks
- und, zu guter Letzt, bestehen die Haupt-Bösewichte mal wieder aus (Überraschung!) bösen Nazi-SS-Deutschen. Na, welch eine Überraschung!

Man verstehe mich nicht falsch, ich habe die Lektüre dieser Erzählung wirklich genossen… bis zu dem Moment, als Stross die „Ahnenerbe-SS“ aus dem Hut zog, als einer Art okkulter Terrorgruppe der 40er-Jahre, die es irgendwie schafften, durch eine Art Dimensionstor auf einen anderen, weit weit entfernten Planeten zu flüchten und sich dort von ihren Dämonen-Sklaven eine Nazi-Burg bauen zu lassen. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen zwangen sie ihre Dämonen-Sklaven noch dazu, das Gesicht des Führers in den diesen fremden Planeten umkreisenden Mond zu meisseln. Hallo, gehts noch absurder?!?

Ach ja und dann gibt es noch diese Stelle wo ein Spion mit rätselhafter Strahlenkrankheit in einem Londoner Hospital liegt… WO IN ALLER WELT hat Stross für diesen Bildermix wohl die Ideen her? Richtig, aus den Nachrichten. Das Gefühl, dass dieser Autor seine Haupt-Inspirationen auf dem Sofa vor laufender Glotze hatte begleitete mich von Anfang bis Ende der Lektüre.

Fazit: im Grunde eine nette & spannende Story mit durchaus innovativen Ideen (der Gedanke, dass Magie im Grunde wesensverwandt mit angewandter Computerwissenschaft / Mathematik sei und es im Rückschluss möglich ist, mit Hilfe von Bits, Bytes und Elektrizität Dämonen zu beschwören ist wirklich nett).
Vor allem Fans von H.P. Lovecraft werden an der Story ihre Freude haben.

Aber im Grunde ist dieses Buch nur ein weiterer Beweis dafür, dass die großen Nazi-Fetischisten der Gegenwart vorwiegend britischer Nationalität sind… im Westen nichts Neues...

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