08 Februar 2010

Robert A. Heinlein: "Fremder in einer fremden Welt" ("Stranger in a strange land")




Robert A. Heinlein: "Stranger in a Strange Land"

Den meisten nicht-ScienceFiction-Fans wird Robert Heinlein - wenn überhaupt - als Autor des Buches "Starship Troopers" einfallen. Die wenigsten Film-Fans dürften das Buch jedoch gelesen haben.
Noch unbekannter außerhalb der SciFi- und Heinlein-Fangemeinde ist sein wohl wichtigster Roman "Fremder in einer fremden Welt" ("Stranger in a strange land").

Innerhalb des Science-Fiction-Genres ist dieser Roman zwar ein Meilenstein, aber wie das so oft ist mit Meilensteinen: mehr als den Namen kennen die meisten Leute, wenn überhaupt, nicht. Oder hat einer unter meinen werten Blog-Lesern den "Mann ohne Eigenschaften" gelesen?

In den USA ist dies mit Sicherheit anders - Heinleins Werk ist dort wesentlich bekannter als hierzulande, und vor allem für die Hippie-Bewegung war der Roman von großer Wichtigkeit.

Die ursprüngliche Version musste Heinlein um einiges zensieren, bevor ihm eine Publikation erlaubt war (bevor man auf China zeigt sollte man solche Begebenheiten im angeblich "freien" Westen nie vergessen). Erst lange nach seinem Tod konnte seine Witwe die unzensierte Version veröffentlichen. Ich beziehe mich im Rahmen dieser Rezension auf diese englische Vollversion des Romans.

Worum es geht
Michael Valentine Smith, einer der Hauptcharaktere des Romans, ist der "Mann vom Mars". Im ersten Kapitel wird beschrieben, wie eine erste Mars-Mission zwar zu erfolgreicher Landung führt, dann aber der Kontakt abbricht. Jahre später trifft eine zweite Mars-Mission auf dem Roten Planeten ein, und die Besatzung findet als einzigen lebenden "Rest" der ersten Mars-Mission das Kind zweier - verstorbener - Crew-Mitglieder.
Smith wurde von den Ureinwohnern des Mars - Wesen, welche sich in so ziemlich jeglicher Hinsicht von uns Menschen unterscheiden - aufgezogen und ist damit zwar biologisch ein Mensch, aber von seiner Psyche, Kultur, Veranlagung und Prägung durch und durch Marsianer.
Er wird zur Erde zurück gebracht und dort - er muss sich zunächst an Druck- und Athmosphärenbedingungen der Erde gewöhnen - in einem Krankenhaus unter oberster Sicherheitsstufe verwahrt.

Er befindet sich sofort in Lebensgefahr, denn die politische Lage auf der Erde ist äusserst kompliziert. Eine etwas skurrile Rechtsprechung aus Zeiten der Mond-Eroberung macht aus Smith nämlich den alleinigen rechtmässigen "Besitzer" des Mars, und dazu noch den reichsten Menschen der Erde, denn er ist auch der Erbe am Patent des bislang einzig funktionierenden Raum-Antriebs.

Michael Valentine Smith jedoch weiß nichts von all diesen irdischen Verwirrungen, denn er versteht zunächst nicht einmal kein Wort Englisch, sondern auch menschliche Konzepte wie "Gesetz", "Besitz" oder "Reichtum" sind ihm gänzlich fremd.

Auf eine seiner Krankenschwestern hat seine naiv-unschuldige Art große Wirkung: sie sieht in ihm den "edlen Wilden", das absolut unschuldige Lamm, dass hier Gefahr läuft, auf die Schlachtbank irdischer Rechtsprechung geführt zu werden.

Gemeinsam mit einem befreundeten Sensations-Journalisten entführen sie Smith aus der Klinik und bringen ihn in die Obhut des einzigen Menschen, der sowohl weise, reich, gewieft und mächtig genug ist, Smith dauerhaft Asyl bieten zu können - der Autor, Arzt, Rechtsanwalt und Lebemann Jubal Harshaw.

Dieser ist ein Meister im Intrigen-Spinnen und findet alsbald großen Gefallen an dem "Mann vom Mars", denn er erkennt dessen absolute Unschuld.

Im zweiten Teil des Buches - Michael Valentine Smith hat nun die menschliche Sprache und etliche menschliche Sitten und Gebräuche gelernt - macht sich Smith daran, die Menschheit von deren Elend zu befreien. Nachdem er die menschlichen Kulturen in all ihren Dimensionen studiert hat, ist er zu dem Schluss gelangt dass er eine Religion konzipieren muss, denn nur so kann er bei zumindest einigen Menschen grundlegende Veränderungen bewirken. Er gründet die "Church of All Worlds", die in mehreren Zirkeln aufgebaut ist und die Mitglieder lernen im Laufe ihrer fortschreitenden Einweihung v.a. Marsianisch, denn das Beherrschen dieser Sprache führt auch zur Entwicklung der latent im Menschen schlummernden Kräfte, was eine Verjüngung und absolute Gesundheit ebenso zur Folge hat wie sogenannte "übernatürliche" Fähgikeiten: Telekinese, Gedankenlesen, Resistenz gegen Temperaturen, Hunger etc...

So faszinierend der Gedanke für mich war, dass man durch das Lernen einer Sprache auch "übernatürliche Fähigkeiten" erwerben kann (ich fühlte mich da an das Bonmot des Sprachphilosophen Wittgenstein erinnert: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt") - der Grund für den Verbot bzw. die Zensur des Romans lag woanders. Er lag am Sex.

Richtig, "Fremder in einem fremden Land" ist ein Roman der sexuellen Freizügigkeit, der freien Liebe. Bei der Erstausgabe 1961 schlug der Roman ein wie die sprichwörtliche Bombe, und er hat die Hippie-Generation stark beeinflusst. 2010 liest sich selbst die ungekürzte Fassung diesbezüglich zwar recht unspektakulär, jedoch wirkt der Roman auch in dieser (der sexuellen) Hinsicht sehr modern. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie er mit dem "mindset" der '61er aufgefasst wurde.

Teil, ja Herzstück der von Smith gegründeten Religion war dann auch die "freie Liebe". Der Geschlechtsakt (egal zwischen welchen Geschlechtern oder mit wie vielen Teilnehmern) wurde von Smith (unschuldig und ungeprägt von den Schuldgefühlen judeo-christlich-muslimischer Religion wie er war) als "a great goodness", also als "etwas von großer Gut-heit" empfunden und in seine Self-Made-Religion übernommen. Ihm war zwar bewusst dass er damit gegen die gesellschaftlichen Konventionen versties, hatte aber kein Verständnis für Gefühle wie Besitzdenken, Eifersucht oder ähnliches.

Aus heutiger Sicht ist es schwer vorstellbar, dass die gekürzte Ausgabe (wie erwartet waren die sexuellen Beschreibungen einer der Hauptgründe für die Zensur gewesen) dazu führte, dass sich bereits in der Hippie-Zeit tatsächlich eine Religion nach dem Romanvorbild in den Vereinigten Staaten bildete. Doch die "Church of All Worlds" gibt es bis heute, und ihre Mitglieder leben nach den Regeln, die Heinlein sich für seinen Roman ausgedacht hatte!
Ein anderer Kern-Satz der Religion war die rituelle Begrüßung "Thou art god!" ("Du bist Gott!"), was heute nach üblichem Esoterik-wischi-waschi klingt, damals aber auch gegen so ziemlich alle gesellschaftlich-religiösen Normen verstiess.
Skurill auch die Tatsache, dass ein Wort aus dem "Marsianischen" - das Wort 'grok' - durch den Roman Eingang in die englische Sprache fand. Das Wort bedeutet auf Marsianische sowohl "Wasser" als auch "Verstehen, Begreifen" und drückt wohl noch einige andere Konzepte marsianischer Lebensart aus. Heute ist es in Wörterbüchern anzutreffen und kaum jemand scheint zu wissen, dass Heinlein es sich ausgedacht hat.

Eine weitere Besonderheit des Romans ist, das Heinlein hier sein "Alter Ego" in der Gestalt des Jubal Harshaw integriert hat. Weite Teile des Buches bestehen aus Quasi-Monologen, in denen der gealterte Lebemann dem "Mann vom Mars" oder anderen Protagonisten (der Krankenschwester Gillian, dem Journalisten Ben Caxton oder einer seiner drei Sekretärinnen, Anne, Miriam und Dorcas) seine Sicht der Dinge lang und breit darstellt. Hier sprich eindeutig Heinlein selbst, und was er zu sagen hat mag Jugendliche langweilen, und ist auch aus heutiger Sicht oft eher selbstverständlich, ist aber im Kontext seiner Zeit gesehen höchst modern und "avantgardistisch".

Fazit
Es gibt wohl nicht viele Romanautoren, die es mit einem ihrer Werke geschafft haben, eine Religion zu gründen. Robert A. Heinlein ist dies mit "Fremder in einem fremden Land" unwillentlich gelungen.
Sieht man von dieser Skurrilität und dem Einfluss auf die Hippie-Bewegung einmal ab - warum sollte ein aufgeklärter, moderner Mensch des 21. Jahrhunderts Zeit und Energie (denn die benötigt man) aufwenden, um dieses Buch zu lesen?
Nun, zuerst einmal weil es ein Höllenspass ist - wirklich. Auch wenn viele Stellen des Buches aus heutiger Sicht wie selbstverständlich wirken, war es für mich ein großer Spass, über die sexuell-religiösen "Rebellen" aus Heinleins Feder zu lesen. Wertkonservative, Spießer und Philister kommen in diesem Buch zwar zu Hauf vor, aber sie kommen durchweg schlecht, sehr schlecht weg. Und das allein ist schon Grund genug, die Nase in den Schmöker zu stecken.

Als Religionswissenschaftler war es für mich dann aber auch spannend zu sehen, wie genial Heinlein die Mechanismen der Religion durch seinen Alter Ego Jubal Harshaw sezierte, die Religion dann gekonnt ad absurdum führte - nur um alle menschlichen Religionen dann durch eine gruppensexorientierte Meta-Religion zu ersetzen.

Schließlich und endlich ist der Roman zwar recht wenig "SF", aber er regt zum Nachdenken an über unsere Gesellschaft, unsere Werte und unsere so absurden Schuldkomplexe. Hinterher fragt man sich wirklich, warum die Menschheit den Weg einschlug, den sie ging, und warum Myriaden von Generationen ihr Leben im Schatten falscher Schuldkomplexe und voll von Gewalt verschwendeten, wenn doch eigentlich alles so leicht sein könnte...