03 Juli 2010

Joe Abercrombie: "Kriegsklingen. First Law 1" ("The Blade Itself")


Als ich im April wegen der isländischen Aschewolke länger als geplant in Deutschland fest sass und eine langwierige Rückfahrt nach Irland mit Bahn und Fähre vor Augen hatte, betrat ich den Böblinger Fantasy-Laden "Fantasy Strongpoint" in der Hoffnung, hier ein halbwegs brauchbares Fantasybuch für unterwegs zu finden. Der Verkäufer muss mir meine Ratlosigkeit sofort angesehen haben (es ist Jahre her dass ich mich in Fantasy- und Rollenspieler-Gefilden bewegte) und dachte wohl zunächst ich hätte mich im Laden geirrt.
Auf meine Frage nach einem guten Fantasy-Roman für eine lange Reise, der aber mehr als nur Kurzweil bietet und nicht die ewig bekannten Strickmuster (Hohlbein, RPG-Romane) wiederholt griff er zielsicher ins Regal und empfahl mir Abercrombie wärmstens. "Ganz ungewöhnlich gut, sehr dick aber ich hab den ersten Band an einem Wochenende durch bekommen."
Ungewöhnliche Dialoge und Charaktere, Sarkasmus, ja Zynismus und eine eher desillusionierte Fantasy-Welt versprach mir der gute Mann.
Er hat nicht zuviel versprochen - "Kriegsklingen" war so gut, dass ich mir, zurück in Irland, die beiden weiteren Bände der Trilogie (Feuerklingen und Königsklingen) schnellstens bestellt und inzwischen auch schon längst durchgelesen habe.
Um was es gehtDie Rahmenhandlung klingt erschreckend banal, und auch der Rückentext klingt eher nach Fantasy für Arme: ein Barbar namens Logen, der "vom kämpfen genug hat", ein Inquisitor namens Sand dan Glokta und ein Magier namens Bayaz sind laut Rückentext die Hauptakteure des Romans. Was die Beschreibung nicht verrät ist, dass es sich hier eher um "Fantasy für Erwachsene" handelt. Es wird geflucht, es wird (viel) geblutet, die Hoffnungslosigkeit der Akteure steigert sich von Kapitel zu Kapitel, die "Entzauberung der Welt" schreitet auch hier voran. Doch ich greife vor.

Fantasy ohne AnalfixierungMan unterscheidet ja landläufig zwischen sogenannter "High Fantasy" und "Low Fantasy". Erstere geht eher in die Tolkien'sche Richtung und bietet Welten voller Magie und Zauberei, wohingegen Letztere eher in die Richtung "Conan der Barbar" (oder Hohlbeins "Enwor-Reihe", um ein mittelmässig gutes Beispiel aus deutschen Landen zu zitieren) geht, sprich in Welten in denen der Kampf und das Gemetzel an erster Stelle stehen und Magie eher eine Randerscheinung darstellt.
Nach dieser groben Klassifikation fällt Abercrombies Klingen-Trilogie ganz klar in die "Conan"-Ecke - ein Genre dass mir eigentlich noch nie so richtig gefallen hat.
Anders als viele der "Low Fantasy"-Kassenschlager steht aber bei Abercrombie das Gemetzel nicht im Vordergrund (obwohl es auch hiervon mehr als genug gibt), sondern ganz klar die Charaktere. Auch hat Abercrombie keine Geschichte geschrieben, in der es wieder mal nur darum geht, von A nach B zu reisen, auf dem Weg möglichst viele Gegner umzuhauen und dann mit Artefakt X Feind Z zu erledigen. Kein Ring, keine Prinzessin und kein Schatz stehen im Mittelpunkt, und das ist gut so.
Auch der seit Tolkien oft grassierende "Fantasywelt-Karten"-Virus ist an Abercrombie - den Göttern sei Dank! - spurlos vorbei gegangen. Zwar ist seine Welt komplex und scheint mindestens 3 Kontinente zu umfassen. Abercrombie ging es aber im Gegensatz zu Tolkien und Konsorten nicht um die minutiöse Darstellung einer Parallel-Welt. Es gibt keine Gedichte und keine Sprachen-Schöpfungen. Welches Land wo liegt kann sich der Leser ungefähr vorstellen, und das reicht auch vollkommen aus. So gesehen ist "Kriegsklingen" ein Fantasy-Roman ohne die in diesem Genre so weit verbreitete Analfixierung.
Zynismus und HoffnungslosigkeitLustigerweise kommen all die zwei Abschnitte weiter oben erwähnten Elemente sogar vor (bis auf den Schatz vielleicht), aber Abercrombie scheint hier absichtlich klassische Fantasy-Elemente zu verwenden um zu zeigen, wie viel mehr er auf dem Kasten und im Sinn hat. Denn wo bei Dutzend-Autoren sich deren Originalität und Repertoire schon beim Fabrizieren einer halbwegs (un)plausiblen Storyline erschöpft, nimmt Abercrombie all dieser Versatzstücke, macht daraus eine mächtig spannende Geschichte - und transzendiert diese Themen gleichzeitig, indem er den Fokus auf die Schicksale, Gefühle, Entwicklungen und Rückschläge der Protagonisten legt.
Dass Abercrombies ganz persönliche Sicht der Welt und des menschlichen Schicksals eine desillussionierte und zynische zu sein scheint wird mit zunehmendem Maße klar, denn wer Romane liest um mit lauter "Happy Ends" belohnt zu werden, der sollte lieber gleich bei den üblichen Verdächtigen bleiben.
Die HauptpersonenDer Roman hat drei Haupthandlungsstränge.
Zunächst einmal ist da der Nordland-Barbar Logen. Ein wilder, alterfahrener Kämpe, der sich im ganzen Norden auch als "Blutiger Neuner" einen Namen gemacht hat. Dies rührt daher, dass er vor langer Zeit bei einer Schlacht einen Teil seines Mittelfingers verlor. Ansonsten ist er ein "todbringender Dreckskerl" (dies gibt in etwa die Umgangssprache der Nordländer wieder), der mehr Blut und Elend über die Welt gebracht hat als jeder Andere.
Der Leser begegnet Logen gleich zu Beginn des Romans, als dieser in einer recht aussichtslosen Lage steckt. Es wird schnell klar dass Logen sich eigentlich schon lange nichts sehnlicher wünscht, als ein Leben in Ruhe und Frieden, aber wie er selbst ständig sagt: Blut bringt immer nur mehr Blut hervor, und davon hat er mehr als genug an den Händen. Und man muss in solchen Dingen einfach realistisch sein.
Als Logen als einziger Überlebender ein Gemetzel mit den menschenfressenden "Plattköpfen" überlebt, beschließt er die Nordlande zu verlassen und sich im Süden ein neues, friedlicheres Leben zu suchen.
Dieser Süden, dass sind aus Logens Sicht die Reiche der "Union", des kulturell und technisch am Entwickelsten Teils dieser Fantasy-Welt. Hauptstadt der Union ist die prächtige Hafenstadt Adua, und in ihr wohnen zwei der anderen Hauptprotagonisten.
Sand dan Glokta ist eine tragische Gestalt. Einst war er strahlender Gewinner des jährlichen Fechtturniers von Adua und ging als Held einer Schlacht mit den Erzfeinden der Union, den Gurkhisen vom südlichen Kontinent, hervor. Leider geriet er dort in Gefangenschaft und verbrachte lange, qualvolle Jahre der Folter und Verstümmelung in den Kerkern des gurkhisischen Imperators.
Heute ist er nur noch ein Schatten seiner selbst. Seine Folterknechte haben ihn nicht nur eines halben Beines, fast sämtlicher Zähne und seiner Gesundheit beraubt, sondern auch seines Lebensmuts und seines Stolzes. Als humpelnder, von Krämpfen und Schmerzen geplagter Krüppel wandte er sich der Inquisition zu, für die er sich nun selbst als Folterknecht einen grausigen Namen gemacht hat. Mit der Frage konfrontiert, wie er denn nur so etwas tun könne, wo er doch selbst Opfer grausamster Folterungen wurde, erwidert er stets nur lakonisch: "Was sonst hätte ich denn werden können - wer außer mir weiß denn besser wie man Folter am effektivsten Einsetzt?"
Und so befindet er sich in einer ähnlichen Lage wie Logen der Barbar: Opfer der Umstände, geplagt von Selbstmitleid und Fatalismus ist er nur noch der Schatten eines freien Menschen.
Aus deutscher Perspektive erinnert Glokta übrigens vor allem gegen Ende des dritten Bandes immer mehr an Wolfgang Schäuble. Doch hierauf genauer einzugehen wäre quasi schon ein "Spoiler"...
Jezal dan Luthar, ein Soldat der Union adeliger Abstammung, ist da aus anderem Holz. Jung, hübsch und mit übergroßem Ego gesegnet, verbringt er seine Tage mit Karten spielen, Zechen und der Jagd auf das schöne Geschlecht. Zu dumm dass er auserkoren wurde, in diesem Jahr als Kämpe im Turnier anzutreten. Er wird im Verlauf der Trilogie auch eine interessante Entwicklung nehmen.
Bayaz, erster der Magi, und auch hier gelingt es Abercrombie, zunächst sämtliche Klischees zu bedienen und den Charakter (und das Fantasy-Klischee) dann stückweise zu zerlegen und uns auch hier Seiten zu zeigen, die wir so nicht erwartet und vielleicht lieber nicht gesehen hätten.
Weitere Charaktere sind Bayaz Schüler Malacus Quai und eine seltsame Kreatur aus dem Süden namens Ferro Maljinn, eine dunkelhäutige, gelbäugige Frau von wildem Temperament, die Rache an den Gurkhisen als Hauptmotivation ins Spiel bringt sowie Oberst West und seine Schwester Ardee.
Es gibt eine ganze Reihe weiterer (Neben)Charaktere, und hier liegt die große Stärke und Faszination der Trilogie: jeder Charakter ist glaubhaft, man erkennt und versteht seine Motive (auch wenn man als Leser natürlich ab und an auch an der Nase herum geführt wird und sich erst später herausstellt, was die wirklichen Motive der Person waren - wie im richtigen Leben halt). Es ist diese greifbare, menschliche, plastische und glaubhafte Darstellung (und Entwicklung) der Charaktere, welche aus dem Roman ein solches Lesevergnügen macht.
Themen
Der erste Teil der Trilogie dient Abercrombie dazu, die Bühne vorzubereiten und die Hauptakteure so zu präsentieren, wie er sie dem Leser zunächst verkaufen möchte. Natürlich ist keiner der Protagonisten ein unbeschriebenes Blatt, selbst der junge und unerfahrene Jezal verfügt bereits über eine ganze Reihe von (unschönen) Charakterzügen.
Hier gibt es auch keine klare "Schwarz-Weiss"-Trennung. Keiner hier ist "gut" oder "böse", schon gar nicht "nur gut" oder "nur böse". Tendenzen gibt es auf jeden Fall, Intrigant ist hier fast jeder, und das eigene Fortkommen scheint die Hauptmotivation so ziemlich aller Charaktere zu sein.
So gesehen ist "Kriegsklingen" natürlich ein schrecklich moderner Roman. Er erzählt uns wesentlich mehr über unsere eigene Epoche als über eine imaginäre Fantasywelt auf der Kulturstufe der ausgehenden Renaissance.
Bis wir in den unglückseligen Zustand ständiger "Connectivity" und überall frei abrufbarer und ständig verfügbarer Information gelangten, hatte die Welt ja noch wesentlich mehr "Zauber" und "magisches". Filme aus der vor-Internet-Ära sind noch nicht so extrem geprägt von innerer Leere, Kraft- und Hoffnungslosigkeit. Spätestens seit dem Siegeszug von DSL und den Suchmaschinen lebt ein Großteil der westlichen Gesellschaften in einem ständigen Informationsfluss, ein grundlegendes Lebensgefühl, dass "da draussen" irgendwo noch etwas wunderbares und unerwartetes auf uns warte, ist jedoch passé. Wenn jede Internet-Suche nach einem x-beliebigen Thema 3 Fantastiliarden Ergebnisse bringt, dann führt dies nicht zu besserer Informiertheit der Bürger, sondern zur entsetzlich ernüchternden Einsicht dass ein Leben eh nicht ausreicht, um sich auch nur ein halbwegs passendes Bild vom Universum zu machen, geschweige denn eine wie auch immer sich darstellende spirituelle "Reise" oder "Entwicklung" mit Aussicht auf auch nur mässigen Erfolg anzupacken.
Das Ergebnis der ständig verfügbaren Information ist leider Gottes Resignation und geistige Verflachung sowie eine zunehmende Abhängigkeit von Gadgets, denn inzwischen ist man ja froh, wenn man sich auch nur die eigene Telefonnummer merken kann.
Schweife ich ab? Nicht wirklich, denn ich habe so weit ausgeholt um deutlich zu machen, dass Abercrombies Roman zwar in einer Welt des 15. Jahrhunderts spielt, in der Magie zudem noch vorkommt und durchaus Einfluss und Wirkung hat. Dass der Roman aber ansonsten ganz deutlich ein Kind der "00er"-Dekade des zweiten Jahrtausends unserer Zeitrechnung ist.
Die Protagonisten sind Egomanen, sie suhlen sich in Selbstmitleid und sie sind fast durchweg arrogante Ignoranten, denen der Sinn für Geschichte und Bildung abhanden gekommen ist. Negatives Denken und eine fast schon lethargische Akzeptanz des angeblichen "Schicksals" sind weitere Themen, die Abercrombie hier bearbeitet.
Dabei entwickeln sich die Charaktere dennoch, oft ohne es wirklich zu merken. Dass sie letztlich nur kleine Rädchen im Getriebe der Welt sind und im Hintergrund alte Mächte die Fäden spinnen; dass Banken und Geld dabei sind die neue Religion und die neue Magie zu werden dürften weitere Seitenhiebe Abercrombies auf unsere aktuelle Gesellschaft sein.
Der erste Band endet mit mehreren offenen Handlungssträngen, die den Leser nicht in Ruhe lassen und dazu führen, dass man sich den zweiten Band "Feuerklingen" quasi sofort nach dem Zuschlagen der Buchdeckel kauft oder bestellt.
Fazit
Lesen! Das einzige mögliche Fazit. Wer sich auch nur etwas aus Fantasy macht, wird hier voll auf seine Kosten kommen.

Und wer von der herkömmlichen Fantasy-Literatur genug hat und endlich mal wieder Bücher aus dem Genre verschlingen möchte, sich in eine faszinierende und dekadente Welt hineinfallen lassen möchte, der wird hier Erfüllung finden.