10 Mai 2015

Joe Abercrombie: Königsschwur ("Half a King")



(Gelesen im englischen Original - keine Gewähr für Qualität der deutschen Übersetzung)

"A man who worships the One God cannot choose his own path: he is given it from on high. He cannot refuse requests, but must bow to commands. The One God makes a chain through the world, from the High King, through the little kings, to the rest of us, each link with its right place. All are made slaves."

Prolog: Wie ich zu Joe Abercrombie kam
Meine Liebesbeziehung mit Joe Abercrombie begann auf die denkbar pathetischste Art und Weise: ein Vulkan mit unaussprechlichem Namen auf der Feuer- und Eis-Insel Island hatte den gesamten Flugverkehr in Europa für Tage (es waren gefühlte Wochen) lahm gelegt.

Ich, lebend in Irland, war just zu diesem Zeitpunkt auf Heimatbesuch in Süddeutschland bei den Eltern und musste meinen Rückflug um eine ungewisse Zeit verschieben. Welch Drama, bedeutete dies doch etliche Tage bezahlten Zwangsurlaub, etliche geköpfte Flaschen Wein mit den Eltern und zur Feier des Tages auch den ein oder anderen Champagner.

Da es völlig unklar war, ab wann der Flugverkehr wieder starten würde, rückte eine mehrtägige Reise per Zug und Fähre in den Bereich des Möglichen.

Da mir der Lesestoff ausgegangen war, besuchte ich den Böblinger Fantasy-Shop, auch aus einem ganz anderen Grund: als alter Fantasy-Rollenspieler der ersten Stunde (schon Anfang der 80er-Jahre mit einer aus den USA importierten, frühen Version des Klassikers "D&D" vom Rollenspiel-Bug infiziert), stieg ich gegen Mitte der 80er auf den deutschen D&D-Klon "Das Schwarze Auge" um (noch in der ersten Auflage) und war seitdem treu und dem Pen&Paper-Rollenspiel verfallen.

Der sehr hilfreiche Angestellte (Besitzer?) des Fantasy Strongpoints Böblingen empfahl mit zwei Autoren, welche mir damals noch nichts sagten. Einen gewissen "George R.R. Martin", der angeblich mit einer Fantasy-Serie namens "Song of Ice & Fire" Furore gemacht hatte, und der wesentlich jüngere (und "Junge Wilde") Joe Abercrombie mit seiner "First Law" Trilogie. Beide Autoren hätten auf ihre Weise bewusst mit der klassischen Fantasy (v.a. der sogenannten "High Fantasy" à la Tolkien) gebrochen, sich aber auch geweigert, die Regeln einer "Low Fantasy" (man denke an "Conan") blind zu übernehmen.

Vielmehr könnte man ihre Bücher einer Art "Anti-Fantasy" zuordnen. Beide Autoren benutzen magische Kräfte eher in homöopathischen Dosen, fallen aber damit nicht unbedingt in die klassische Low-Fantasy Kategorie, obwohl brachiale Gewalt auch in den Werken beider Autoren eine Rolle spielt.

Aber weder das Fehlen von Magie noch die immer wieder zu Tage tretende Brutalität (und Sexualität) sind das definierende Moment in den Werken dieser Autoren. Vielmehr wird beim Lesen ihrer Bücher klar, dass ihre Werke ganz offensichtlich Probleme und Thematiken unserer aktuellen Welt und Gesellschaften in einen archaischen Kontext verlegt haben.

Mit seiner "The First Law"-Reihe legte Abercrombie den Grundstein einer Welt, die seinen Ruf in der Fantasy-Szene etablierte als einen Autor mit harten Büchern, voll von Charakteren, die zwischen dem klassischen "Gut-Böse"-Schema liegen und die vielen Grauzonen der Realität mit Leben und Charakter füllen. Gute Menschen, denen allzu unfair-böses geschieht, und die das Leben in der Folge hart und oft auch unbarmherzig macht. Feigen, oft räudigen Hunden, die sich auf verlogene Art in Machtpositionen bringen konnten. Nicht zuletzt dekonstruierte die "First Law"-Trilogie des Briten Abercrombie die "Herr der Ringe"-Trilogie seines Landsmanns Tolkien. "Herr der Ringe auf Crack" könnte man die Romane teilweise nennen. Man stelle sich einen "Herr der Ringe" vor, in dem sich Gandalf als intrigantes, Fäden spinnendes Arschloch entpuppt, der "eine Ring" Radioaktivität austrahlt und die Hobbits nach und nach an Strahlenkrankheit krepieren... Aragorn ein feiger, eitler, oft notgeiler Bock ist und die Elfen die Welt schon lange - wahrscheinlich wegen der Verlogenheit der Menschen - verlassen haben. Ein "Herr der Ringe", in dem der wahre Held Grima Schlangenzunge heisst und sich das absolut Böse nicht als lidloses, feuriges Auge, sondern als mächtiges Bankhaus entpuppt. Das ist Fantasy aus der Post-Lehman-Brother's Welt. Hart, oft unfair und ironischerweise nichts für Romantiker und Träumer.

Das Buch "Königsschwur" / "Half a King"
Wie ist nun Abercrombies neues Buch?
Zunächst einmal: artig und brav im Vergleich zur "Ab 18"-Fantasy seiner ersten Bücher. "Half a King" ist ganz klar für ein jüngeres Publikum geschrieben worden. Sexszenen gibt es nicht, und das Fluchen hält sich in jugendfreien Grenzen. Ich vermute einmal, die Zielgruppe ist in demselben Alter, in welchem ich damals die Jahresromane von Wolfgang Hohlbein (Märchenmond, Elfentanz, Drachenfeuer etc...) verschlungen hatte. Allerdings ist die "Jugend von heute" eine gänzlich andere Generation - mich hätte dieses Abercrombie-Buch damals dann doch etwas schockiert.

Prinz Yarvi ist der zweite Thronfolger im Königreich Gettland. Ein kriegerisches Volk, und sein doch sehr kriegerischer Vater hat - den Göttern sei es gedankt - noch den ersten Thronfolger, Yarvis älteren Bruder, parat. Denn Yarvi ist von Geburt an ein Krüppel - seine linke Hand ist nur ein Stumpf mit nur einem, nicht funktionalen Finger. Unfähig zu kämpfen und von eher schwacher Konstitution, ist Yarvi der Spott im Trainingshof und eine Schande für seine Familie. Wäre da nicht sein wacher Verstand und seine überdurchschnittliche Schläue - weshalb er sich für die Rolle des "Ministers" (Gesandten, Gelehrten, Priesters) eignet, und von Mutter Gundrig höchst persönlich für ein Leben im Amt ausgebildet wird - Verzicht auf den Thron und Adelstitel sind die Voraussetzung für eine Karriere, auf die sich der junge Prinz nicht nur vorbereitet, sondern regelrecht freut.
Zu Beginn des Romans, zur Endzeit seiner Vor-Ausbildung und kurz vor Abnahme der Minister-Prüfung am Hofe des Großkönigs passiert nun das Unglück: sowohl sein Vater als auch sein Bruder werden hinterrücks getötet, ganz offensichtlich von den Schergen und im Auftrag des Königs des verfeindeten Nachbarlandes, Vansterland.
Nun rückt Yarvi ins Zentrum der Macht, denn er ist nunmal der einzig übrige Erbe, und somit König der Gettländer.

Ein Netz von Intrigen, Gewalt und unerwarteten Ereignissen wird losgetreten, in dessen Verlauf sich Prinz Yarvi zunächst auf dem Thron von Gettland, dann aber in völlig anderen Umständen und Abenteuern beweisen muss - eine wahre Oddyssee durch die Welt der "Shattered Sea" beginnt, und als Leser ist man hier durchaus in derselben Lage wie Abercrombie-Fan George R.R. Martin: man kann das Buch bis zum Erreichen der letzten Seite einfach nicht mehr aus der Hand legen!

Das Buch mag sich an eine jüngere Zielgruppe wenden, und die Plot-Twists sind weniger kompliziert, als man es von Abercrombie gewohnt ist. Dennoch hat dies auch einige Vorteile - Abercrombie erzählt die Geschichte auf weniger Seiten, als er in seiner ersten Trilogie benötigt hatte. Ein gigantischer Vorteil ist, dass er hier die Kunst des "executive summary" gemeistert hat, denn weniger Seiten bedeutet hier mitnichten weniger Spass, sondern die Geschichte und ihre Spannungsbögen werden komprimiert. Waren seine frühen Romane noch Filterkaffee, bekommt man hier einen starken Espresso gereicht. Da Abercrombie sich trotzdem genug Zeit nimmt für Charakter- und Storyentwicklung, entwickelt die Geschichte also trotz der "nur" 373 Seiten einiges an Tiefgang. Es ist also ein sehr geschmackvoller Espresso, der einen lange anhaltenden, angenehmen Nachgeschmack hinterlässt.

Es eröffnet zugleich eine neue Fantasy-Reihe ("Shattered Sea Saga"), und man darf schon auf die nachfolgenden Bände gespannt sein.